Europadiskussion: Ein Bericht
Die Europäische Union als Friedensprojekt in einem veränderten geopolitischen Umfeld neu mobilisieren, Kräfte in der Sicherheits- und Wirtschaftspolitik bündeln und pragmatisch voranschreiten! So lautet das Fazit einer Diskussionsveranstaltung mit Prof. Sandra Eckert (Institut für Politikwissenschaft, FAU), Günter Gloser und Michael Roth (beide Staatsminister a.D., SPD) am 8. Juli in Nürnberg, initiiert von der Europa-Union Nürnberg e.V. in Kooperation mit Europe Direct Nürnberg, der Evangelischen Stadtakademie Nürnberg und der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Die Diskussionsveranstaltung im Haus Eckstein in Nürnberg widmete sich der Frage, wie viel Erneuerung die Europäische Union (EU) angesichts der aktuellen Herausforderung benötige. In seinem engagierten Eingangsstatement plädierte Michael Roth, der in der vergangenen Legislaturperiode Staatsminister für Europa und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages war, für eine Bündelung und Stärkung der verteidigungs- und sicherheitspolitischen Kapazität der EU sowie die Aufnahme beitrittswilliger Staaten in die EU. Roth, der im Frühjahr dieses Jahres seinen Rückzug aus der Politik angekündigt hatte, sprach in Nürnberg nach eigener Aussage als „politischer Mensch“ und nicht als Politiker, und appellierte an die Zuhörenden, sich engagiert in die gesellschaftliche Debatte einzubringen.
Das sich anschließende Gespräch zwischen Michael Roth und Prof. Sandra Eckert wurde von Günter Gloser, der u.a. 2005 bis 2009 Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt war, moderiert. Roth rief zu einem entschlossenen Eintreten der EU für die Ukraine auf, um gegenüber der Aggression Russlands Stärke zu zeigen ― aber auch, um hinsichtlich der Expansionsstrategien anderer großer Mächte wie China geopolitisch ein Zeichen zu setzen. Eckert und Roth waren sich einig, dass aufgrund des drängenden Handlungsbedarfs in vielen Bereichen für die EU derzeit keine großen konstitutionellen und institutionellen Reformen opportun seien. Vielmehr müssten die verfügbaren Verfahren auch einer verstärkten oder intergouvernementalen Zusammenarbeit pragmatisch genutzt werden. Eckert wies zudem darauf hin, dass der Modus einer differenzierten Integration ohnehin der Normalfall sei und sich je nach Politikfeld changierende Bündnisse zwischen den Mitgliedstaaten bildeten. Trotz der gestärkten europaskeptischen Kräfte blieben Blockaden im Europäischen Parlament noch weitgehend aus, und im Rat würden Entscheidungen selbst bei Mehrheitsentscheidungen im Regelfall meist noch im Konsens getroffen, um einzelne Mitgliedstaaten nicht zu überstimmen. Insgesamt zeige sich das mitunter etwas schwerfällige institutionelle Gefüge der EU als resilient und stabil, so ihr Fazit. Im Austausch mit dem Publikum wurde Roths Vorschlag, beitrittswilligen und -fähigen Staaten ein klares Signal der Erweiterungsbereitschaft zu senden, kontrovers diskutiert.
Sowohl Roth als auch Eckert sehen in der aktuellen Situation die Chance, die EU als Friedensprojekt neu zu mobilisieren, sowie in zentralen Politikfeldern wie der Umwelt- und Wirtschaftspolitik innovativ voranzuschreiten. Dies könne dem politischen Projekt Europa gerade im Kontrast zu den illiberalen Kräften neue Attraktivität verleihen.